Wo bleibt der Zauberspiegel? Anmerkungen zu „Freuds Dinge“ von Lothar Müller (2019)

Es gibt ein neues, wirklich sehr interessantes Buch über Sigmund Freud von Lothar Müller:

FREUDs DINGE: Der Diwan, die Apollokerzen und die Seele im technischen Zeitalter. 

Berlin: Die Andere Bibliothek, 2019.

Mit bewundernswertem Elan beleuchtet der Autor die „Dinge“, mit denen sich Freud umgab, die ihn umgaben, gegenständliche und virtuelle, und die er für die Entwicklung seiner Psychoanalyse nutzte. Er beschreibt ein wissenschafts- und kulturhistorisch faszinierendes Feld, in dem sich die Dinge mit der geistigen Produktion des Schöpfers der Psychoanalyse verquicken und in dem sich ein Gespinst von Bezügen entfaltet, die an die analytische Methode des freien Assoziierens erinnern. Es ist das Lothar Müllers großartige Leistung, dass er sich dabei ganz dem Hauptwerk Freuds zuwendet und die vor allem „Traumdeutung“ als Resultat seiner Selbstanalyse ins Visier nimmt.

Ich möchte hier keine Buchrezension verfassen, aber doch auf eine große Auffälligkeit, ja Lücke im Reigen der Dinge hinweisen, wie sie Lothar Müller so eindrucksvoll dargestellt hat. Es handelt sich um den Spiegel am Fenster, den ich gerne als „Zauberspiegel“ bezeichne — für mich das aufregendste von „Freuds Dingen“.  Dieser Spiegel hing nachweislich Jahrzehnte lang in Freuds Arbeitszimmer schräg links vom Schreibtisch am Fensterrahmen. Die Radierung von Max Pollak (1914) und das Foto von Edmund Engelman (1938) zeigen den Spiegel. Der Freud-Forscher Gerhard Fichtner (1932–2012) hat mir einmal auf meine Frage, wie lange der Spiegel schon vor 1914 dort gehangen haben mag, sinngemäß geantwortet: „Der sieht nach spätem 19. Jahrhundert aus, wahrscheinlich hing der schon von Anfang an dort, nach dem Einzug Freuds in die Wohnung [d.h. 1891].“  Auf den Spiegel als magischen Apparat in der Kulturgeschichte der Menschheit und die Bedeutung der Spiegelmetapher für Freuds Psychoanalyse möchte ich hier nicht näher eingehen. Warum der Spiegel im Buch übersehen wurde, wäre eine Frage, die vielleicht ein Analytiker deuten kann. Dass er übersehen wurde, ist jedenfalls bei der sonstigen Stofffülle des Buchs sehr erstaunlich.

Der Name dieses Blogs (Magic Mirror Blog) bezieht sich direkt auf Freuds Spiegel. Hier („about“) kann man Näheres dazu erfahren.

Unten der Buchdeckel meiner publizierten Habilitationsschrift „Zauberspiegel der Seele“ (1985); siehe diesen Blog-Beitrag.  

bild1.jpg

Titelblatt meiner publizierten Habil.-Schrift (Göttingen 1985) — Foto wurde vom Verlag umgezeichnet, um Geühren zu umgehen. Der Spiegel kommt umso klarer zum Vorschein.